Wenn man mich einige Monate früher darauf hingewiesen hätte, dass ich einmal beim Schreiben eines Artikels „Kulinarische Impressionen“ ertappt werde würde, hätte ich dies entschiedenst zurückgewiesen. Dieses Thema folgt in meinem ganz persönlichen Interessensranking gleich nach Mode, Kosmetik und Lifestyle. Und doch gibt es einige „Leckerbissen“ unserer Chinareisen 2010 und 2013, die mir erwähnenswert scheinen.

Einkauf am Markt
Kulinarische Vielfalt outdoor

Der Streifzug führte uns nicht nur geographisch, sondern auch aus kulinarischer Sicht von Süd nach Nord über Tophotels, Restaurants und heruntergekommene Spelunken. Abgesehen von Hongkong – dort war ich mir wirklich nicht sicher, ob alles, was im Kochtopf landete, auch dafür vorgesehen war – fanden wir beinahe überall das gleiche Bild. Hervorragende Küche, Kompensation hygienischer Defizite über reichlichen Gebrauch von Chili gepaart mit ausreichendem Konsum von Schnaps und in ganz China keine Süßspeisen – eben kulinarische Impressionen.

Zugegebenermaßen ist die Speisekarte hie und da ein wenig eingeschränkt, wenn man kein ausgesprochener Fan von Meeresfrüchten ist. Diese Abneigung wurde in jungen Jahren durch die Verwechslung von Shrimps mit Mandarinestückchen in einem Mayonnaissesalat und der daraus folgenden Fehljustierung meines Geschmackssinnes verstärkt. Aber man befindet sich das erste Mal in China und ist somit offen für alle wunderbaren Varietäten dieses Landes. Nachdem sich mir jedoch nach dem Genuss von Qualle und Tintenfisch lediglich die Assoziationen „Latexbadehaube“ und „Gummidichtungsring“ aufgedrängt hatten, beschloss ich meine Enthaltsamkeit der marinen Nahrungsaufnahme fortzuführen.

Die chinesische Küche bietet für jeden Etwas
Kulinarische Vielfalt indoor

Unsere Gastfamilie tischte uns nach viel Mühe und Aufwand eine Schüssel auf, aus der uns eine Unzahl an Krabbenbeinen entgegenwinkte, und man konnte ganz deutlich das eingefrorene Lächeln auf den Gesichtern unserer Gruppe erkennen, zumal die meisten zusätzlich ganz strenge Vegetarier waren. Während die Chinesen herzhaft zulangten, hielt sich unsereins mit freundlicher Zurückhaltung an die hervorragend zubereiteten Gemüsebeilagen.

Der zum Mittagessen aufgrund gesellschaftlicher Höflichkeit obligatorische Alkoholgenuss ließ mich beim anschließenden Tai Chi Training so gelöst und geschmeidig wie niemals zuvor die Formen in den Äther zeichnen. Darauf machte meine Trainingskollegin den glorreichen Vorschlag, ich sollte doch bei dem bevorstehenden Einladungstunier in Ningbo kurz vor meinem Bewerb ebenfalls einen Rachenputzer konsumieren, umso meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Von diesem Vorhaben habe ich dann doch Abstand genommen. Ich hätte sicherlich eine daunenweiche, fließende 38er-Performance abgeliefert – auf Kosten meiner Balance.

Das süße Detail

Der Klassiker zum Abschluss eines üppigen Menüs
Wassermelone zum Nachtisch

Wahrscheinlich gibt es im Chinesischen keine Übersetzung für „Dessert“ oder „Mehlspeise“. Was maximal am Ende eines luxuriösen 5-Gänge-Menüs kredenzt wird, sind Früchte. Und immer dabei der Klassiker – die Wassermelone!
Im Zuge einer Reise brachten wir zwei Originaltorten des Hotels „Sacher“ als Geschenk für unsere Gastfreunde mit. Beide Male wurden die Sachertorten „zufällig“ und „ohne Absicht“ von unseren chinesischen Freunden vergessen.
In Ningbo waren unsere Gaumen auf der Suche nach dem süßen Gift. Unsere chinesische Begleiterin führte unsere Taijigruppe zu einer „wirklich süßen“ Konditorei. Die Mehlspeisen in diesem Tempel der Saccharide bekamen diesen Speisezusatz, der unsere Zungenspitzen so erfreut, jedoch nur in homöopathischen Dosen ab.

Daraus entstand meine persönliche Hypothese: Die in westlichen Kreisen allgemein akzeptierte Gesellschaftsdroge „Zucker“ dürfte keine weite Verbreitung im Reich der Mitte finden und könnte dadurch auch dazu beitragen, dass die Menschen dort eben mehr in Ihrer Mitte ruhen. Man könnte jetzt seitenweise darüber referieren, was der übermäßige Genuss raffinierten, gereinigten Zuckers mit unserem Körper und unserer Psyche anstellt, aber hiervon gibt es genügend Studien, Erfahrungsberichte und Dokumentationen.

Aber die Zuckerabstinenz ist in China augenscheinlich. Meine Beobachtung – der Begriff „Hypothese“ ist aufgrund fehlender wissenschaftlichen Untermauerung unzulänglich – wurde also allerorts in China immer wieder bestätigt. Vielleicht bewirkt der fehlende Zucker in den Nahrungsmitteln generell ja doch einen entspannteren Zugang im Alltag und senkt das Aktivitätspotential bzw. erhöht die Reizschwellen auf ein normales, natürliches Niveau. Es kommt nicht permanent zu einer Einspritzung von Lachgas in den getunten Motor, sodass dieser, bedingt durch die verstärkte Verbrennung, kurzfristig die Touren und damit die Leistung in ungeahnte Höhen treibt.

Ist das einer von vielen Gründen, der heutzutage in unserer westlich geprägten Wohlstandsgesellschaft unser Stresspotential mitprägt?