Bewegen wir uns etwas abseits des heftig und jetzt schon etwas abgeklungenen Diskurses zu den martialischen Fertigkeiten des Taijiquans und dessen Wirksamkeit in Sachen Anwendung bzw. Selbstverteidigung. Es gibt keinen Grund – außer jener einer übertriebenen Selbsteinschätzung – eine kritische Betrachtung zu scheuen.
Aber ein Aspekt, der die Ausübung dieser Kampfkunst so einzigartig macht, ist sicherlich die gesundheitliche Wirkung auf Körper, aber vor allem auf Geist und Herz. Dazu gibt es ausreichend Artikel, Berichte und natürlich, wie so oft, auch unzählige übertriebene Huldigungen, die eher die Absicht einer ausgeklügelten Marketingstrategie als einer ehrlichen Darlegung gesundheitlicher Ergebnisse erkennen lassen.
The health benefits of Tai Chi - Harvard Medical School
Ein Artikel der Harvard University aus dem Jahr 2009 (Update 20. August 2019) spricht sehr treffend einige bemerkenswerte Merkmale des Taijiquan an, die mit Sicherheit in anderen Sportarten oder Bewegungsformen so nicht zu finden sind.
Der für die Ausübung des Taijiquan so charakteristische kreisförmige Bewegungstypus wird durch entspannte Muskelaktivität erreicht, während ein Kollabieren der inneren und äußeren Haltung vermieden wird. Gemeinsam mit einer ausdrucksreichen Formenzeichnung erhebt sich Taijiquan vorrangig zur Kunst unter den martialischen Bewegungsformen. Zudem reizt die Übung die beiden innewohnenden Prinzipien Yin und Yang nicht aus. Es kommt zu keiner kompletten Streckung, Dehnung oder Abwinkelung der Gelenke, wodurch die schonende Wirkung leicht zu erklären ist. Damit bietet sich eine individuell optimale Passform für jeglichen Trainingsstatus – egal, ob Anfänger oder Fortgeschrittener.
Und mit der Erkenntnis, dass sich alles auf geschwungenen – also auf aus Kreisen zusammengesetzten – Bahnen bewegt, wird es spannend. Ist der Kreis die universelle Form in unserem Kosmos? Bewegt man sich mit dem Nachzeichnen etwas näher zu den eigenen Wurzeln hin?

Obwohl ich mit dem Titel No Pain, big gains nicht ganz konform gehe, können die angesprochenen positiven Wirkungen nicht von der Hand gewiesen werden.
Tai Chi ist nicht immer langsam und sanft, fordert mitunter – vor allem bei fehlendem Training – seinen Atemtribut und verlangt dem ernsthaft Interessierten ein hohes Maß an geistigem und körperlichem Durchhaltevermögen ab.
Eine der Superkräfte des Taijiquans erwächst aus der unglaublichen Beanspruchung unseres Wurzelwerkes, den Beinen. Hinzu kommt eine fantastische Schule der Haltung, welche durch die permanente Ansteuerung ihrer zugrunde liegenden Muskelketten zustande kommt.
Tai Chi kann die Flexibilität des Unter- und Oberkörpers steigern. Um diesem Trainingsziel jedoch mit deutlich wahrnehmbaren Schritten näher zu kommen, sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Dafür benötigt man viel Zeit, Mühe und vor allem Geduld.
Das Taijiquan-Training bietet den Vorteil, dem Anfänger aerobe Übungsroutinen zur Verfügung zu stellen, die mit fortgeschrittenen Trainingsniveau durchaus auch mit anaeroben Elementen erweitert bzw. durch diese auch ausgetauscht werden können.
Eine weitere hervorragende Eigenheit des Trainings ist die zunehmende Propriozeption – die Fähigkeit, die Position des eigenen Körpers im Raum zu erfassen. Ein verbessertes Gleichgewicht bildet somit sowohl in physischer als auch psychisch-emotionaler Hinsicht die bedeutendste Säule dieser Kampfkunst. Wir begeben uns auf den Weg zu unserer Mitte, zu dem Punkt zwischen den gegensätzlich wirkenden Kräften, auf den Weg zur Harmonie zwischen Yin und Yang.