Als ich in meiner Jugend mit Kampfsport begann, war verständlicherweise meine Vorstellung von martialischen Systemen und den damit verbundenen Zielen komplett verschieden von meiner heutigen Sichtweise. Man tritt an, um der beste Kämpfer zu werden. Unterstützt durch die damals einzigen einprägsamen Informationsquellen in Form von Kampfkunstfilmen, folgt man den eigenen infantilen Ideen und hat ein komplett verschobenes und absolut unvollständiges Verständnis von Begriffen wie „Kampf“, „Kampfkunst“ oder „Selbstverteidigung“ vor Augen. Doch der Romantik folgt alsbald die Ernüchterung.

Viele Jahre und ungezählte schweißtreibende Stunden später voll Schmerz, Spaß, Interesse und auch Tränen hat sich der Weg gewandelt. Die prunkvolle, Glorie verheißende Prachtstraße ist zu einem steilen, steinigen Gebirgsweg mit einer tollen Aussicht geworden. Etliche gebuchte und bezahlte Saisondauerkarten bei unterschiedlichsten Ärzten, persönliche Erfolge und Niederlagen und vor allem die schmerzvolle Einsicht, dass die martialischen Fähigkeiten oftmals in den eigenen körperlichen Grenzen gefangen und durch emotionale Zwänge (oder besser die genetisch bedingte emotionale Grundausstattung) beschränkt sind, beschreiben wahrscheinlich gemeinsam mit dem Streben, diese Hürden zu überwinden, den Pfad am besten.
Kurz: Wunschvorstellung und Realität klaffen kolossal weit auseinander. Man ertappt sich immer noch bei kindlichen, gewaltverherrlichenden, komplexbehafteten Denkmustern und wird der Tatsache gewahr, seit den Kindertagen keinen einzigen Schritt voran gekommen zu sein. Doch vielleicht bedeutet diese Feststellung selbst dann doch wiederum, dass während der gesamten Trainingszeit nicht nur Stillstand geherrscht hat.

Die tatsächlichen Ziele, die wahre Bedeutung von Kampfkunst drängt sich unaufhaltsam ins Bewusstsein. Ganz ehrlich betrachtet muss man sich eingestehen, dass nur die Niederlagen das Potential boten, eine Sprosse auf der Entwicklungsleiter hoch zu klettern, was jedoch noch lange nicht bedeutet, dass man diese Chancen auch immer wahrnimmt. Viel zu oft stehen uns die eigene Selbstüberschätzung, Arroganz, der eigene Stolz und vor allem unsere Angst und Schwäche, die im martialisch geprägten Bereich wahrscheinlich den größten Raum für sich einnehmen, im Weg.

Inmitten dieser Termini charakterlicher Unzulänglichkeiten erkennt man auch den individuellen Wandel der Begriffsdefinitionen von „Kampf“, „Selbstverteidigung“ und „Kampfkunst“.
Mit dem Wort „Kampf“ wird ein Zustand mit einem weiten Geltungsbereich beschrieben, der nur vom engstirnigen Kampfsportler oder -Künstler ausschließlich mit einer physischen Konfrontation assoziiert wird. Das ernsthafte Training zwingt uns zur Einsicht, den Kampfschauplatz viel mehr im Inneren als in der Außenwelt zu lokalisieren. Und tatsächlich wird nur das eigene Spiegelbild mit seinem auffälligsten Merkmal, dem Ego, bekämpft. Und Selbstverteidigung sollte dem eigenen Schutz, dem Geleit Schwächerer sowie der Bewahrung von Gesundheit dienen.

In Wahrheit verlangt uns das seriöse Studium eines Kampfstiles großes Verantwortungsbewusstsein ab und bedeutet, einen Weg zu beschreiten, welcher durch die eigenen Dämonen permanent verstellt wird – und sich diesen letztendlich zu stellen. Tut man dies erhobenen Hauptes, kann der lebenslang andauernde Kampf zur Kunst mutieren.